Pränataldiagnostische Untersuchungen: Wenn und aber
Präntalamedizin wird häufig kontrovers diskutiert. Im September 2019 wurde, nach einer heftigen politischen Diskussion, entschieden, dass ein pränatalmedizinisches Untersuchungsverfahren, genauer gesagt der nicht-invasive Pränataltest (NIPT), in begründeten Einzelfällen und nach ärztlicher Aufklärung, als Kassenleistung anerkannt wird. Das heißt, dass die Kosten von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden. Argumentiert wird damit, dass die pränatalmedizinische Diagnostik für alle werdenden Eltern zugänglich sein soll und keine finanziellen Gründe dagegen sprechen dürfen. Außerdem soll dadurch zunehmend auf die diagnostischen Punktionen, wie zum Beispiel die Chorionzottenbiopsie (CVS, Mutterkuchenpunktion) und die Amniocentese (AC, Fruchtwasseruntersuchung), verzichtet werden, die ein deutlich höheres Risiko für die Schwangerschaft bedeuten.
Ethische Konsequenzen der Pränataldiagnostik
Viele Behindertenverbände schreien auf: Die Sorge ist groß, dass dadurch Pränataldiagnostische Untersuchungen völlig ungefiltert und grundsätzlich durchgeführt werden und quasi „eine Auslese“ von Kindern mit Down-Syndrom (Trisomie 21) oder anderen genetischen Auffälligkeiten geschieht.
Auch unter den werdenden Eltern gibt es häufig zwei „Lager“: Diejenigen, welche sich eine größtmögliche Sicherheit wünschen und deshalb alle zur Verfügung stehenden Untersuchungen durchführen lassen möchten und jene, die sich bewusst dagegen entscheiden, weil eine genetische Auffälligkeit ihres Kindes keine weitere Konsequenz für sie hätte.
Ein Überblick über die Pränataldiagnostische Untersuchungen in der Frühschwangerschaft
Wir bringen etwas Licht in die vielen verschiedenen Bezeichnungen und Abkürzungen: as ist ein „nicht-invasive Pränataltest (NIPT)as ist der Unterschied zu einem „Ersttrimesterscreening (ETS)“? Sind das die einzig relevanten pränataldiagnostische Untersuchungen für dich? Solltest du sie durchführen lassen? Was spricht dafür, was dagegen? Und ganz wichtig: Könnten sie deinem Kind auch schaden?
Wann und warum sollten pränataldiagnostische Untersuchungen durchgeführt werden?
Zwischen der 8. und der 11. +6. SSW. führt dein Frauenarzt/ deine Frauenärztin das erste Ultraschallscreening durch. Hierbei wird untersucht, ob dein Baby „am richtigen Platz“ in deiner Gebärmutter sitzt, das Herzchen schlägt, wie groß das Kind bereits ist und ob es irgendwelche anderweitigen Auffälligkeiten gibt. Alle Werte werden dann in deinen Mutterpass eingetragen.
Möglicherweise schon früher, spätestens aber jetzt, wird dein Frauenarzt/ deine Frauenärztin mit dir besprechen, ob du weitere Untersuchungen wünschst möglich sind der nicht-invasive Pränataltest, “NIPT”, und das Ersttrimesterscreening , kurz “ETS”. Diese beiden Untersuchungen sind sogenannte „Screeninguntersuchungen“ für genetische Auffälligkeiten, wie zum Beispiel das Down-Syndrom oder andere Trisomien. Kurz gesagt: Sie untersuchen die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dein Baby eine Fehlverteilung oder einen Strukturdefekt seiner Chromosomen hat.
Beide Tests müssen von den Schwangeren selbst gezahlt werden. Wie bereits oben erwähnt, wird der NIPT jedoch nun in begründeten medizinischen Einzelfällen Kassenleistung. Wird bei einem dieser Tests ein sehr hohes Risiko entdeckt, können weitere und noch genauere Untersuchungen, wie eine Mutterkuchenpunktion, abgekürzt CVS, und später auch eine Fruchtwasseruntersuchung, kurz AC, angeschlossen werden. Diese Untersuchungen werden dann von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen.
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Diese pränataldiagnostische Untersuchungen gibt es in der Frühschwangerschaft:
1. Das Ersttrimesterscreening (ETS)
Wann kann man das Ersttrimesterscreening durchführen?
Das ETS kann ab der 11+0.-13+6. SSW durchgeführt werden. Hierbei wird einerseits bei dir als werdender Mama Blut abgenommen und gewisse Blutparameter, wie das ß-HCG und das PAPP-A (pregnancy-associated Plasma Protein A), bestimmt. Weichen diese Blutwerte von ihrem Normbereich ab, so kann dies ein Hinweis auf eine kindliche Chromosomenanomalie sein.
Andererseits wird eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt, bei der die Dicke des kindlichen Nackens ausgemessen wird. Diese Untersuchung wird übrigens auch „Nackentransparenzmessung oder Nackenfaltenmessung“ genannt. Ein Verdickung des kindlichen Nackens ist ein unspezifischer Hinweis auf eine genetische Anomalie, aber auch auf andere Erkrankungen, wie zum Beispiel einen Herzfehler.
Was kann man im Screening sehen?
Zum ETS gehört außerdem sinnvollerweise eine sehr genaue Ultraschalluntersuchung der einzelnen Organe des Babys, inklusive des Herzens und anderen Parametern, wie zum Beispiel des fetalen Nasenbeines und der Blutflüsse. Um das Ersttrimesterscreening durchführen zu können, benötigt dein Frauenarzt/ deine Frauenärztin ein spezielles Zertifikat. Auch in Zentren für Pränatalmedizin kann diese Untersuchung von Spezialisten durchgeführt werden.
Die Dicke des kindlichen Nackens, das Vorliegen von Organauffälligkeiten, die mütterlichen Blutwerte und andere Faktoren, wie zum Beispiel das mütterliche Alter, werden dann in eine Datenbank eingegeben. Schlussendlich erhältst du dann eine Risikoberechnung dafür, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass dein Baby ein Down-Syndrom, eine Trisomie 13 oder 18 aufweist.
Wie genau und aussagekräftig ist das ETS?
Ein unauffälliges Testergebnis liefert dir eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass dein Baby keine dieser Auffälligkeiten besitzt. Eine absolute Sicherheit bedeutet dies aber nicht. Die Entdeckungsrate eines Down-Syndroms liegt zum Beispiel bei etwa 90%. Bei etwa 3% wird ein auffälliges Testergebnis verzeichnet, obwohl das Kind gesund ist.
Liegt ein auffälliges Testergebnis vor, werden in der Regel weitere Untersuchungen wie ein NIPT oder eine diagnostische Punktion, zum Beispiel eine Mutterkuchenpunktion, durchgeführt, um das Ergebnis zu überprüfen. Bei einer Mutterkuchenpunktion erfolgt das Einführen einer Nadel durch die mütterliche Bauchwand und die Gebärmutterwand bis in den Mutterkuchen hinein. Dort werden Zellen, die das kindliche Erbgut enthalten, entnommen und im Anschluss danach genau untersucht.
2. Der nicht-invasive Pränataltest (NIPT)
Seit einigen Jahren gibt es den sogenannten „Bluttest“. Auch hierbei handelt es sich um eine Screeninguntersuchung, das heißt, eine Wahrscheinlichkeitsberechnung, ob dein Baby an einer genetischen Auffälligkeit leidet. Schon in einer sehr frühen Schwangerschaftswoche, nämlich ab etwa der 10. SSW, können in deinem Blut die Chromosomen deines Babys untersucht werden.
Aus dem Mutterkuchen treten nämlich immer wieder winzige Teile des kindlichen Erbgutes hervor, die durch eine Blutentnahme bei dir gewonnen, durch ein aufwendiges Verfahren isoliert und schließlich untersucht werden können. Neben Auffälligkeiten der Chromosomenanzahl, wie es bei den Trisomien der Fall ist, können Wahrscheinlichkeiten für Strukturdefekte und damit andere Erkrankungen des Kindes angegeben werden.
Geschlechtsbestimmung
Zudem kann eine Geschlechtsbestimmung erfolgen. Hierbei ist allerdings wichtig zu wissen, dass das Geschlecht zwar sehr früh bestimmt werden kann, dir dein Frauenarzt/ deine Frauenärztin aber erst nach der 14. SSW mitteilen darf, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Damit soll vermieden werden, dass es aufgrund eines unerwünschten Geschlechts des Babys zu Schwangerschaftsabbrüchen nach gesetzlicher Fristenregelung kommt. Zusätzlich zu der mütterlichen Blutentnahme sollte beim NIPT immer auch ein ausführlicher Organultraschall des Babys erfolgen.
Wie genau ist der nicht-invasive Pränataltest (NIPT)?
Der NIPT ist sehr genau. So wird mit einer Sicherheit von etwas über 99% ein Down-Syndrom erkannt. Eine exakte Diagnose liefert ein NIPT jedoch auch nicht. Wird ein auffälliges Testergebnis ermittelt, erfolgt auch hier eine diagnostische Punktion, um das Ergebnis zu sichern.
Häufige Fragen zu pränataldiagnostischen Untersuchungen in der Schwangerschaft:
1. Sind ETS oder NIPT gefährlich für dein Baby?
Nein, diese Untersuchungen stellen keine Gefahr für das Kind dar. . Neben einer mütterlichen Blutentnahme, die sehr risikoarm ist, erfolgt eine Ultraschalluntersuchung deines Babys, die nicht schädlich ist. Wichtig zu betonen ist jedoch, daß eine exakte Diagnose von genetischen Auffälligkeiten auch weiterhin nur durch eine diagnostische Punktion, wie zum Beispiel der Mutterkuchenpunktion (CVS) und der Fruchtwasseruntersuchung, (AC), möglich ist. Auch diagnostische Punktionen sind übrigens sehr sicher, wenn sie von einem erfahrenen Arzt durchgeführt werden. Das Risiko einer durch den Eingriff verursachten Fehlgeburt liegt nach aktueller Datenlage bei <1:500.
2. Muss ich ein ETS oder einen NIPT in der Frühschwangerschaft durchführen lassen?
Nein, das musst du nicht. Dies ist eine ganz individuelle Entscheidung für euch, als werdende Eltern. Vor der möglichen Untersuchung solltet ihr euch folgende Gedanken machen: Welches Ziel hätte eine solche Untersuchung für uns? Würde ein auffälliges Testergebnis etwas für uns ändern? Wünschen wir uns „so viel Sicherheit, wie es geht“ oder möchten wir eigentlich so wenig Diagnostik wie möglich?
3. Welche Bedeutung und Konsequenzen haben diese pränataldiagnostische Untersuchungen?
Wenn ihr euch für die Untersuchung entscheidet, ist es ganz wichtig, dass zusätzlich zu der Blutentnahme ein fundiertes genetisches Beratungsgespräch und anschließend ein ausführlicher und fachmännischer Ultraschall durchgeführt wird. Dabei ist es wichtig, dass über die untersuchten Erkrankungen und ihre Bedeutung aufgeklärt wird und die Chancen, aber auch die Grenzen der einzelnen Testverfahren dargestellt werden. Außerdem sollte dir erklärt werden, was ein auffälliges Testergebnis bedeutet und welche weiteren diagnostischen Schritte dann eingeleitet werden. Wenn du Fragen hast, solltest du immer nachfragen. Es ist ganz wichtig, dass du dich gut aufgeklärt fühlst.
Finde deinen eigenen Weg mit Untersuchungen in der Schwangerschaft
Uns Pränatalmediziner/innen obliegt die Aufgabe, verantwortungsvoll mit unseren diagnostischen Mitteln umzugehen. Es liegt in unserem Aufgabenbereich, die werdenden Eltern so zu begleiten, wie sie es benötigen. Ganz individuell. Dazu gehört auch, „das Recht auf Nichtwissen“ zu respektieren oder eine Schwangere, die so viel Diagnostik, wie möglich wünscht, zu begleiten. Wünschenswert sind gut aufgeklärte Schwangere, die für sich selbst entscheiden, welchen Weg sie einschlagen möchten.
Das kann auch bedeuten, dass sich die werdenden Eltern nach einem genetischen Beratungsgespräch doch gegen eines der Testverfahren entscheiden und sich stattdessen in der 22. Schwangerschaftswoche zu einem detaillierten Fehlbildungsultraschall vorstellen möchten, weil ein Down-Syndrom ihres Kindes keine Konsequenz für sie hätte, sie aber wissen möchten, ob ein kindlicher Herzfehler vorliegt, damit sie die Geburtsklinik dementsprechend wählen können.
Letztendlich müssen die werdenden Eltern ganz für sich selbst entscheiden, wie sie ihre Schwangerschaft gestalten möchten und wie viel Diagnostik sie wünschen, um sich wohl und sicher zu fühlen und diese wunderbare Zeit genießen zu können.
Über den Autor:
Prof. Dr. Roland Axt-Fliedner, Leiter der Abteilung für Pränatalmedizin und Fetalchirurgie Universitätsklinik Gießen. Als Ultraschallexperte mit der höchsten Qualifikation der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM III) verfügt er über eine besondere Expertise in der vorgeburtlichen Diagnostik sowie der Überwachung von Risikoschwangerschaften. Neben seiner klinischen Tätigkeit ist er wissenschaftlich tätig und hält zudem weltweit Vorträge. Er ist verheiratet und Vater von 5 Töchtern.